Dienstag, 3. Januar 2012

Was die Herbeder Ortsvereine der Parteien aus den Umfragen zum Rücktritt des Bundespräsidenten lernen könnten

Die Ortsverbandsvorsitzende und gleichzeitige Fraktionsgeschäftsführerin Claudia Gah beklagte sich im Oktober 2011 darüber, dass von dem Gutachterbüro Stadt+Handel nur ein Prozent der Herbeder Bevölkerung zum Einkaufsverhalten befragt worden sei: „Das ist nicht repräsentativ“ sagte sie und brachte ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass ihre Partei nicht den Gutachterergebnissen von Stadt+Handel, sondern der Sachkompetenz ihres Ortsverbands vertraue. (WAZ, 21.10.2011)

Ähnlich wie die CDU reagierten auch die beiden Ortsvereine der SPD auf das Einzelhandelsgutachten und sammelten im Sommer 2011, der öffentlichen Bekanntgabe der Gutachterergebnisse vorwegeilend, selbst Unterschriften von Passanten ein und behaupteten, 469 von 754 Personen seien für die Ansiedlung eines Vollsortimenters im  Gerberviertel (Umfrage contra Studie. SPD sieht Chance für Supermarkt, WAZ, 17.09.2011).

Anfang Februar 2011 hatte das Gutachterbüro Stadt+Handel im Auftrag des Einzelhandelsverbandes Südwestfalen und der IHK Mittleres Ruhrgebiet, mit Unterstützung der Stadt Witten, eine Haushaltsbefragung in einer 1%-Stichprope (140 Interviewes) von einem darauf spezialisierten Marktforschungsunternehmen mittels eines standardisierten Fragebogens durchführen lassen. Das Ergebnis zeigte eine hohe Kundenbindung an den Stadtteil, die allen zuvor von der Verwaltung und den Fraktionen geäußerten Behauptungen, die Einwohner würden Herbede wegen der ungünstigen Einkaufssituation den Rücken kehren, widersprachen. Trotz der geringen Interviewanzahl  halten es die Gutachter für möglich, daraus erste Erkenntnisse zu gewinnen. Die Umfrage war Teil des Gutachtens zum Einzelhandel in Herbede und bestätigte: Es gibt keine Notwendigkeit für einen Vollsortimenter im Gerberviertel.

Was ist nun richtig? Arbeiten im Gutachterbüro von Stadt+Handel Dilettanten, die nicht wissen, dass hunderte von abgegebenen Stimmen repräsentativer sind als 140, wie Frau Gah und auch die SPD dies nahelegen?

Weil die Ereignisse gerade aktuell sind und niemanden unberührt lassen, verweisen wir auf widersprüchliche Umfrageergebnisse bezüglich Rücktrittsforderungen an den Bundespräsidenten Christian Wulff.

"Verwirrung: Soll Wulff nun bleiben oder gehen?" fragt  Jörg Schönenborn im Blog der Tagesschau (blog.tagesschau.de, 03.01.2012). In einer Vorauswertung der ersten Befragungswelle bis gestern Abend 21.00 Uhr hat sich eine – allerdings geschrumpfte – Mehrheit von grob 60 Prozent gegen den Rücktritt Wulffs ausgesprochen. Während Schönenborn heute nachmittag seinen Bericht schrieb, sah er, dass von 31.000 Beteiligten  im Voting bei tagesschau.de 89 Prozent für den Rücktritt votiert haben. Und er stellt die Frage:
Können so viele Teilnehmer irren? Muss das nicht repräsentativ sein?
Der Widerspruch sei leicht aufzulösen, Schönenborn erklärt warum:
"Telefonumfragen, wie die für den ARD-DeutschlandTrend, gelten bei gemeinhin tausend Befragten als repräsentativ. Das entscheidende hierbei ist die Methodik. Meinungsforschungsinstitute wählen die 1000 angerufenen Teilnehmer so aus, dass alle Bevölkerungsgruppen, Alt und Jung, Arm und Reich, Nord und Süd, Mann und Frau, entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung angerufen und in die Umfrage einbezogen werden. Ein Zufallsgenerator nutzt dafür alle in Deutschland theoretisch möglichen Telefonnummerkombinationen. Natürlich sorgt der Zufall auch hier für Abweichungen von ein bis zwei Prozentpunkten, aber wenn man davon absieht, sind Ergebnisse dieser Umfragen – professionell gewichtet – repräsentativ und geben das Stimmungsbild in der Bevölkerung wieder.""
Nach dieser Methodik wurde auch in Herbede vorgegangen, mögliche Abweichungen sind kalkulierbar und ändern nichts an der Kernaussage.

Also: Es kommt nicht auf die Menge der befragten Personen an. Wenn die Methodik nicht stimmt, wie beim Online-Voting oder bei der Unterschriftensammlung der SPD in Herbede, ist es egal, wieviel Hunderte oder Zehntausende sich daran beteiligen, die Ergebnisse sind grundsätzlich unrepräsentativ. Es kommt auf die Methodik an.

Ob diese Information die Parteien endlich zu einem gemeinsamen, sachlichen Gespräch mit den Bürgern über die Zukunft des Stadtteils Herbede und über die Ergebnisse des Gutachtens von Stadt+Handel bewegen wird?

1 Kommentar:

lila luder hat gesagt…

Wie aus manipulierten Umfragen (unter anderem bei zwei CDU-Ratsmitgliedern - also unkritischen Mitgliedern der Fangemeinde Wulffs)bei wenigen Leuten eine Headline wie "Wulff hat in Witten noch Kredit" gemacht wird, ist heute in der WAZ sehr schön nachzuvollziehen. Das ist keine objektive Berichterstattung, sondern Meinungsmanipulation. So ergibt die aktuelle FOCUS-Online-Umfrage ein ganz anderes Bild. Dort sind 90,9 % der Befragten für den Rücktritt.

Interessanter wäre es doch in diesem Zusammenhang, wenn die beiden WAZ-Journalisten einmal der Frage nachgingen, warum Menschen trotz gegenteiliger Informationen und Faktenlage immer noch am Verbleib von Herrn Wulff im Amt festhalten. Vielleicht sind es Individuen, wie sie Adorno in seinen Studien über den autoritären Charakter beschrieben hat, die die Gelegenheit nutzen, mit paternalistischem Gestus dem Alphatier großzügig eine Verfehlung zu verzeihen.