Samstag, 25. Februar 2012

Wochenmarkt durch großen Vollsortimenter im Gerberviertel gefährdet

Wochenmärkte sind durch ihre breite Warenpalette und Produktfrische unverzichtbares Angebot von Innenstädten und Stadtteilzentren. Unterstützt und weiterentwickelt können sie unsere “Ortsmitten“ erheblich stärken. Diese Erkenntnis haben mittlerweile viele Städte und Ministerien wieder entdeckt. Durch das vielschichtige Angebot und durch die Qualitätsmerkmale tragen Wochenmärkte zur Zentrenförderung und mit den Produkten in vielen Fällen zur Nachhaltigkeit bei und stärken die sozialen Kontakte im Stadtteil.
Wie steht es um den Herbeder Wochenmarkt? Welche Entwicklungen sind festzustellen? Wie sieht seine Zukunft aus?
Wenn der Markt bedroht wird, hagelt es in Herbede Proteste. Dies hatte die Wittener Verwaltung zuletzt im Oktober erlebt (siehe unseren Beitrag: "Der Herbeder Wochenmarkt bleibt - mit allen Ständen?")

Interview


Dieter Boele vom Bürgerkreis Herbede und Karl‐Heinz Heinemann vom Arbeitskreis Zentrumsentwicklung haben zur zukünftigen Entwicklung des Herbeder Wochenmarkts am 23.02.2012 ein Gespräch mit dem Markthändler Gunter Hagemeier geführt:
Boele: Herr Hagemeier, Stadtplaner, Marketing‐Strategen und Politiker haben ja anscheinend die Rolle der Märkte für die Zentren neu entdeckt. Sie sind Markthändler in Herbede, verkaufen Frischeprodukte, wie Obst und Gemüse. Wie sehen Sie diese neue Bewertung und welche Entwicklung stellen Sie fest?
Hagemeier: Das Marktgeschehen war seit jeher fester Bestandteil dieses Ortes. Meiner Kenntnis nach besteht der Markt in der jetzigen Angebotsform ca. 50 Jahre. Der ursprüngliche Standort befand sich vor der Volksbank und wurde in den 1980igern Jahren im Rahmen der Stadtteilerneuerung auf den jetzigen Standort verlagert. Meine Familie ist seit ca. 30 Jahren (mit Unterbrechungen) auf dem Wochenmarkt Herbede mit Obst und Gemüse vertreten. Es ist ja schön, dass die Städte die Märkte wieder neu entdecken. Aber vieles was „Oben“ schön geredet wird, kommt unten nicht oder erst sehr spät an. Wir, die Markthändler, haben eher mit ordnungsbehördlichen Problemen zu kämpfen als das wir in unseren Bemühungen unterstützt werden.

Heinemann: Ich war selbst ca. 20 Jahre Markthändler und kenne daher grundsätzlich die Problematik. Mit welchen Problemen haben Sie hier zu tun?
Hagemeier: Insbesondere in den letzten Jahren hat sich das Kundenverhalten verändert. Kamen beispielsweise früher die ersten Kunden bereits um 6:00 Uhr, so kommen diese heute erst gegen 10:00 Uhr. Der Grundaspekt ist jedoch der generelle Überbesatz an Lebensmittelangeboten. Durch die Vielzahl der „fest“ installierten Märkte, wie Supermärkte, Verbrauchermärkte, Warenhäuser, Vollsortimenter und Discounter mit z. T. erheblichen Preisnachlässen hat auch eine räumliche Verlagerung des Einkaufens stattgefunden. Dies hat teilweise zu Umsatzeinbrüchen von bis zu 50% geführt, so dass hierauf einige Markthändler auch mit Aufgabe reagiert haben. Diese Umsatzeinbrüche könnten hier möglicherweise auch mit der Eröffnung von Kaufland 2007/08 und weiterer Märkte zusammenhängen (die Wirkungen dieser Märkte sind ja hinreichend bekannt, wie man an der unteren Bahnhofstr. feststellen kann).

Boele: Wie sehen Sie die Zukunft des Herbeder Wochenmarktes?
Hagemeier: Der Markt hat für Herbede trotz allem noch eine große Bedeutung. Dies sehen wir an den Kundenzahlen gegenüber anderen Tagen. Auch ist die angrenzende Gastronomie bereits früh frequentiert. Wichtig ist, dass der Markt stabilisiert wird und zusätzliche Markthändler angesiedelt werden. Bisher haben wir neben dem Kerngeschäft der Lebensmittelversorgung (Obst, Gemüse, Milchprodukte, Fleisch und Fisch) einen Grünmarkt, einen Textilhändler und eine Garküche; insgesamt ca. 12-13 Händler. Angebote des Kunstgewerbes, der Haushaltswaren, Gardinen, Wolle, Stoffe und Kinderbekleidung fehlen und könnten das bestehende Angebot deutlich verbessern und somit wieder mehr Kunden anlocken.

Boele: Wo sollten diese untergebracht werden? Der Platz an der Schmiede ist durch ordnungsrechtliche Maßnahmen nahezu ausgereizt?
Hagemeier: Das ist richtig. Wir haben brandschutztechnische Auflagen mit hohen Anforderungen einzuhalten (z. B. Wendekreis für Rettungsfahrzeuge, Freihaltung einer Fahrgasse), so dass hier kaum weitere Marktstände aufgestellt werden dürfen. Weitere Standmöglichkeiten müssten daher in der Meesmannstr. und auf dem Platz neben der Sparkasse mit räumlicher Anbindung an den Wochenmarkt geprüft werden. Gelingt uns das nicht, so könnte der Wochenmarkt in Herbede stark gefährdet sein. Eventmäßige Veränderungen des Marktes, wie z. B. historische Gestaltungen können nur ergänzende Wirkungen erzielen, treffen jedoch nicht den Kern der Problematik.

Heinemann: Wie beurteilen Sie die derzeitige Diskussion um die Ansiedlung eines LMVollversorgers (1.200 qm Verkaufsfläche) im Gerberviertel und Aufgabe des Edeka‐ Marktes?
Hagemeier: Unsere Erfahrungen hier und auch in anderen Stadtteilen und Städten zeigen, dass sich durch die enge räumliche Zuordnung zwischen stationärem Einzelhandel, Dienstleistern und Markthändlern und den damit verbundenen, konzentrierten Angeboten alle Seiten ergänzen. Die Erfahrung lehrt auch, dass durch die Aufgabe dieses Gefüges und wirtschaftliche Bevorzugung eines Mitbewerbers außerhalb des Zentrums das Ganze Schaden nimmt. Die Ansiedlung eines Lebensmittel-Vollversorgers im Gerberviertel jenseits der Wittener Straße würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres Schrumpfen des Marktgeschehens einleiten, das Ende des Wochenmarktes Herbede wäre dann eine Frage der Zeit.

Boele/ Heidemann: Mit der Verlagerung des Lebensmittelsupermarktes ins Gerberviertel würde damit ein weiterer Magnet das Zentrum verlassen. Herr Hagemeier wir danken für das Gespräch.

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Georg Klee, Ratsherr, Kassierer und Schriftführer des SPD-Ortsvereins Herbede, sieht einem Bürgerbegehren gelassen entgegen (siehe "Bürgerbegehren für den Erhalt des Zentrums!"). Sieht er auch dem drohenden Verlust des Wochenmarktes gelassen entgegen?

11 Kommentare:

Anonymous hat gesagt…

Vielleicht sollten die Herren auch mal anfangen der Tatsache ins Auge zu blicken, dass sich die Bevölkerungsstruktur in Herbede geändert hat und ändern wird. Das typische 50 er Jahre Hausfrauenmodell ist nämlich ausgelaufen. In den Familien sind heutzutage fast alle berufstätig. Wer kann da schon noch morgens gemütlich den Markt besuchen? Verschließen sie doch nicht vor dieser unaufhaltsamen Entwicklung die Augen und schauen immer nach hinten.
Trotz des zentralen Edeka-Marktes stirbt die Meesmannstraße seit Jahren aus.
Ich sehe dem Bürgerbegrehren in Übrigen auch gelassen entgegen. Familien mit Kindern und Berufstätige würden sehr, sehr gerne in Herbede wieder einkaufen kommen, aber das wird von Ihnen ja seit Jahren verhindert.
Herzlichen Dank an die Mitglieder des BK ( ist es richtig, dass sie nur 30 Mitglieder verzeichnen? )- dem Sprachrohr der alternden Herbeder Bevölkerung

Bürgerkreis Herbede e.V. hat gesagt…

Der Kommentar von Anonym, Feb 25, 2012 02:03 AM zeigt sehr gut eine der Schwachstellen in der Argumentation der Befürworter der Ansiedlung eines großflächigen Lebensmittelsupermarktes im Gerberviertel: Sie verfügen offenbar nicht über notwendige Grundkenntnisse der Bevölkerungsentwicklung in Witten.
Die Bevölkerungsstruktur ändert sich. Richtig: Abnehmende Einwohnerzahl bei gleichzeitig zunehmender Zahl älter Mitbürger. Dies liefert zumindest zwei Argumente, die eine Ausweitung der Verkaufsflächen im Lebensmitteleinzelhandel als unsinnig erscheinen lassen.

Moderne Städteplanung wird heute viel differenzierter gesehen als noch vor zehn Jahren. Auch die Entwicklung von Märkten und die Renaissance der kleinen Verkaufsflächen gehören zu einer integrierten Städteplanung. Mit drei Lebensmitteleinzelhandelsgeschäften im Bereich des Zentrums, jeweils etwa 700 qm Verkaufsfläche, sind wir in Herbede bestens grundversorgt. Dies wurde übrigens auch im Moratorium so festgehalten.

Es gibt einige Aufgaben im Zentrum zu lösen, für die der Bürgerkreis sich seit 2003 stark macht. Es kann nicht nur Unwissenheit sein, dem Bürgerkreis Rückwärtsgewandheit vorzuwerfen und seine eigenständigen, aufwändigen Projekte und Bemühungen, vom Dorfmeister über Parkraumbewirtschaftung, Bürgerladen, Immobilien- und Standortgemeinschaft nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Im übrigen hoffen wir für sie, dass Sie niemals alt werden!

Anonymous hat gesagt…

Super geschrieben Anonym.Die meisten Bürgerinen und Bürger sehen es genauso.Wenn es soweiter geht,ist Herbede in 5 Jahren eine Tote Meile.

murmel hat gesagt…

Verstehe ich Sie richtig? Der Bürgerkreis verhindert, dass der Wochenmarkt - ein ausgelaufenes Hausfrauenmodell - beseitigt wird? Und meinen Sie, Familien mit Kindern und Berufstätige würden sehr, sehr gerne in Herbede wieder einkaufen kommen und ihre Berufstätigkeit aufgeben, wenn der Wochenmarkt endlich verschwunden sein wird? Das nenne ich fürwahr visionär!

Anonymous hat gesagt…

Ich hoffe nicht wirklich, dass sie mir das wünschen...

M. Schütte hat gesagt…

Es ist mit Sicherheit nicht nur Unkenntnis, was die Beurteilung des Bürgerkreises betrifft, sondern System und Strategie, ausgerechnet die Gruppe zu attakieren, die sich am vehementesten für die Stärkung des Zentrums einsetzt und zwar überparteilich, unabhängig, unentgeltlich und in der eigenen Freizeit. Grund: Erhaltung eines lebenswerten und sozialen Umfeldes, mit kleinen Geschäften, zwei Discountern, einem Frischemarkt in guter Größe und bester Lage und einem gut sortierten Wochenmarkt. Die Fläche an der Gerberstraße kann in einer Mischnutzung aus sozialen, ggf. medizinischen, therapeutischen und kulturellen Angeboten sinnvoll genutzt werden. Das nennen Sie rückwärtsgewand? Das ist zukunftsorientiert und liegt im Trend der Zeit. Ein kleiner Lesetipp:
http://www.zeit.de/angebote/Zukunftswerkstatt/interview_heinze
Ich bin mir sicher, dass eine Mehrheit, die dieses "Dorf" und sein Zentrum schätzt, es ähnlich sieht und auch dafür einsteht!

Anonymous hat gesagt…

Mich stört mittlerweile auch sehr, dass sich der Bürgerkreis offensichtlich als Vertreter der Herbeder Bevölkerung versteht.
Den Kommentar von Anonym am 25. fand ich auch gut. Ich habe mich trotz meines fortgeschrittenen Alters auch nicht auf den Schlips getreten gefühlt. Viele mobile Rentner kaufen auch nicht mehr in Herbede ein.
Neue Konzepte für die Messmannstraße müssen her, unabhängig von einem Lebensmittelgeschäft.

Anonymous hat gesagt…

Ehrlich gesagt verstehe ich die Aussage des ersten Kommentars auch nicht?! Für Familien mit Kindern und Berufstätige ist die Meessmannstrasse mit ihren kleinen Geschäften eh nicht geeignet und uninteressant? Anonyme Vollsortierer sind die Zukunft für Familien? Wir sind auch berufstätig und noch weit weg vom Rentenalter. Ich persönlich genieße es am Samstag durch Herbede zu gehen, beim Metzger, beim Bäcker und im Blumenladen einzukaufen und bekannte Menschen zu treffen und zu sprechen. Ich halte nichts davon, mit dem Auto direkt vor den Vollsortimenter zu fahren, den Kofferraum vollzuladen, mich kaum zu bewegen und ohne persönliche Kontakte wieder nach Hause zu fahren. Auch Wochentags schaffe ich es entweder morgens früh oder abends bis 20 Uhr noch einzukaufen. Ich schätze die Meessmannstrasse und denke auch an die Verantwortung, die wir gegenüber kleineren Geschäften und ihren Mitarbeitern haben und denke auch an die Ladenlokalbesitzer. Da kann man sicher sein, dass die Steuern in Witten gezahlt werden. Wie soll ein Vollsortimenter Leerstände stoppen, das leuchtet mir einfach nicht ein. "Einmal hin alles drin" hilft da sicherlich nicht.

Anonymous hat gesagt…

Zum Kommentar Feb 25, 2012 02:03 AM
Mit Sicherheit sehen die Herren den Tatsachen ins Auge. Jedoch mit der richtigen Schlussfolgerung.
Die Herren sehen genau so wie ich, die Konsequenzen des expandierenden Lebensmitteleinzelhandels..
Ein LEH welcher ursächlich ist für Massenproduktion und immer wieder aufflammende Lebensmittelskandale..
Dagegen steht der Wochenmarkt für Produkte aus der Region und Qualität aus bäuerlichen Familienbetrieben.
Warum so frage ich, hat der Verkauf ab Hof in der letzten Zeit so zugenommen.
Natürlich hat der Supermarkt auch Bio-Produkte, ja Bio aus Italien oder Übersee ist ja auch sinnvoll?
Oder sollen wir demnächst unser Frühstücksei und Brötchen auch noch bei EBay kaufen?
Ach ja das ist ja nichts für Angehörige der alternden Herbeder Bevölkerung.
Frage an die jüngere Herbeder Bevölkerung:“ haben Sie sich schon mal Gedanken über alternative Nutzungen des Gerberviertels gemacht?“
Nutzungen, welche sich im Nachhinein nicht mit Belastungen für die Stadt und deren Bürger auswirken.
Also, bitte keine Schranken aufbauen zwischen jung und alt, wir müssen zumindest vorläufig noch miteinander auskommen.
Ich erinnere daran dass ein jeder mal alt wird und werden möchte.
Das wünsche ich auch einem jeden, jedoch hoffe ich für jeden „dass er nicht vorher schon sehr alt aussieht“

Anonymous hat gesagt…

Aufschlussreich für die Gefühlslage der Befürworter eines noch größeren Supermarktes - als seien 700 Quadratmeter für eine vernünftige Versorgung nicht genug - ist ein Kommentar im Lokalkompass vom 10.02.12: Auf fünf Zeilen verteilt ist 7x "ich" zu finden.

Markus hat gesagt…

Richtig. Und wenn Sie jetzt noch sagen, dass dies die Pflicht unserer Verwaltung ist und Konzepte gemeinsam mit den Bürgern erarbeitet werden müssen - einschließlich der zukünftigen Nutzung der Grundstücksfläche im Gerberviertel, ohne Vorentscheidung durch den Rat zu Gunsten eines großflächigen Lebensmitteleinzelhandels (über 800 Quadratmeter Verkaufsfläche)- sind wir uns einig.