Sonntag, 10. Juni 2012

Neuer Masterplan Einzelhandel für Witten

"So stellen wir uns eine gelungene Stadt vor, jedenfalls in Europa: möglichst abwechslungsreich und aufgeschlossen – als Ort, der ein «Weltbürgertum» im Kleinen ermöglicht" (Katja Kullmann)

Die ideale Stadt

Die Vorstellung von einer idealen Stadt, wie sie der Soziologe Henri Lefebvre beschrieb, in der möglichst viele verschiedene Menschen zusammenkommen ("verdichtete Unterschiedlichkeit"), spielt in der Diskussion über Stadtentwicklung eine große Rolle. "Im Grunde funktioniert der Organismus «Stadt» ja schon seit Jahrtausenden wie das Internet:
Dort ist eine schnelle, unkomplizierte Vernetzung der Menschen untereinander möglich. Dem Lebensraum Stadt ist also ein urdemokratisches Prinzip der Teilhabe und des Austauschs eigen. Ob reich oder arm, ob bürgerlich oder alternativ: Es findet ein konstanter Austausch statt, es werden gesellschaftliche Fragen auf engstem Raum ausgehandelt", sagt Kullmann. (1)

Die Bedrohung der Städte

Viele Städte, insbesondere Stadtteile stehen vor dem Verfall. Eine der Ursachen ist eine verfehlte Ansiedlungspolitik. Zum Schutz der Innenstädte und des Einzelhandels haben sich Ende letzten Jahres 24 Städte in der Region östliches Ruhrgebiet zusammengeschlossen und eine gemeinsame Erklärung ("Hammer Erklärung", pdf) unterschrieben. Witten hat sich nachträglich angeschlossen.

Auch Witten hat unter der wachsenden Zahl von Einkaufszentren außerhalb des Stadtgebietes zu leiden. In der Resolution des Rates, die der Landesregierung zugesandt wurde, heißt es: "Mit größter Besorgnis verfolgt die Stadt Witten die Pläne für die Errichtung eines Einrichtungshauses mit Fachmärkten in einer Entfernung von ca. 15 Autominuten zum zentralen Versorgungsbereich Witten-Mitte sowie zweier Outlet-Center im Umfeld des Stadtgebietes."
Es geht in der Wittener Resolution darum, eine "Schwächung der eigenen Einzelhandelsstandorte" zu verhindern. Die Stadtteile sind ausdrücklich mit einbezogen: "Das Land NRW hat für das Programmjahr 2011 Fördermittel in Höhe von 44 Mio. Euro zur Stärkung der Innenstädte als Handels-, Dienstleistungs- und Wohnstandorte, als Lebensraum und als Visitenkarte der Stadt eingeplant. Die positiven Effekte dieser umfangreichen Förder- und Investitionsmaßnahmen könnten drohende Umsatzeinbußen in den betroffenen Städten und Gemeinden nicht auffangen oder gar zu einer Richtungsänderung beitragen. Viele Fördermillionen – insbesondere im Bereich der Stadterneuerung – würden vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ihre beabsichtigte Wirkung zur Stärkung der Stadt- und Stadteilzentren nicht erzielen."

Die Ministerpräsidentin des Landes NRW sprach der Bürgermeisterin für Ihr Engagement um lebendige und vielfältige Innenstädte ihren Dank aus.

Unterschiedliche Interessen

Wie auch anderswo werden, wenn es um Fragen der Ansiedlung innerstädtischer Einkaufscenter oder Ansiedlungen außerhalb gewachsener Zentren geht, Zielkonflikte deutlich. Was kann Stadt heute sein? Wie wollen wir in Zukunft leben?
Rendite orientierte ökonomische Interessen auf Seiten der Investoren und zum Teil widersprüchliche Interessen auf Seiten der Kommunen und ein unterschiedliches Verständnis von dem, was eine Stadt ausmacht, sind nicht ohne Weiteres miteinander vereinbar.
Die planerische Sichtweise schwanke dabei zwischen drei Polen, sagt Rolf Junker: "Für die einen ist eine Center-Ansiedlung eine ausschließlich ökonomische Frage, für andere dagegen primär eine
baulich-räumliche Entscheidung. Für Dritte wiederum
geht es dabei um die Steuerung der Gesamtentwicklung
einer Stadt, die neben der wirtschaftlichen auch
die gesellschaftliche, die kulturelle und die ökonomische
Entwicklung beinhaltet", eine integrierte Stadtentwicklung. Sie verlange eine interdisziplinäre Herangehensweise. (2)
 

Keine  Projektentwicklung ohne Einzelhandelsverträglichkeitsgutachten

Junker hält Verträglichkeitsgutachten deshalb für eine Pflicht. "Bei jeder Projektentwicklung sind Einzelhandelsverträglichkeitsgutachten zu verlangen." Er rät, dass eine Vergabe einschließlich der Übernahme der Kosten ausschließlich durch die Kommune erfolgen solle.

Was für Center-Ansiedlungen im Großen gilt, gilt für Herbede im Kleinen: Ein Verträglichkeitsgutachten für das Herbeder Zentrum hatte der Bürgerkreis stets im Zusammengang mit der geplanten Ansiedlung eines großflächigen Lebensmittelmarktes im Gerberviertel von der Verwaltung gefordert, dies wurde bisher  stets verweigert. 

Finanzierung

"Von einem vom Projektentwickler selbst beauftragten und bezahlten Gutachten ist dringend abzuraten – so ist kein Fall bekannt, in dem dann den entwicklerseitig angestrebten Dimensionierungen der Verkaufsflächen die Stadtverträglichkeit abgesprochen wurde." (2) Die Stadt müsse darauf achten, dass sie das Verfahren stets „in der Hand behält“.

Der Antrag zur Aktualisierung des Masterplan Einzelhandel Witten soll nach Ansicht der SPD-Fraktion im Zuge der aktuell laufenden politischen Beratungen zum Haushaltplanentwurf 2012 mit diskutiert und entschieden werden. Dies schließe die Beauftragung der Verwaltung zum Einwerben einer finanziellen Beteilung durch Dritte an den Kosten der Fortschreibung des Masterplans Einzelhandel nicht aus. (3)

Quellen/Literatur:
  1. Katja Kullmann, Vom Wachsen und Sterben der Städte, Neue Zürcher Zeitung, 04. Juni 2012, www.tagblatt.ch
  2. Rolf Junker, "Zum Umgang mit großen innerstädtischen Einkaufscentern. Arbeitshilfe", Januar 2011
  3. AN 13 12 Fortschreibung Masterplan Einzelhandel.doc
Edith Winkelmann, Dipl. Soz. Wiss.


Siehe auch:
>>> Städteplanung in Witten: Mit zweierlei Maß?
>>> Einzelhandel: Einmischung erwünscht?

    Bildernachweis: Dominik Bartsch, „365/18 - Tilted houses“
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